Geist
und
Gnade

 



Ignatian Spirituality in Student Life
Geist und Gnade

A German-language group for prayer, study, meditation, and discussion,
working under 19th-annotation retreat guidelines.

Text
aus der Erzählung Die stillste Zeit im Jahr (Waggerl) 1

Advent, das ist die stillste Zeit im Jahr, wie es im Liede heißt, die Zeit der frohen Zuversicht und der gläubigen Hoffnung. Es mag ja nur eine Binsenwahrheit sein, aber es ist eine von den ganz verläßlichen Binsenweisheiten, daß hinter jeder Wolke der Trübsal doch immer auch ein Stern der Hoffnung glänzt.

Für mich begann in der Kindheit der Advent damit, daß mich die Mutter eines Morgens weit früher als sonst aus dem Bett holte. Der Mesner läutete immer schon die Viertelglocke, wenn ich endlich halb im Traum zur Kirche stolperte. Nirgends ein Licht in der bitterkalten Finsternis, und oft mußte ich mich mit Händen und Füßen durch den tiefen Schnee wühlen, es war ja noch kein Mensch vor mir unterwegs gewesen.
In der Sakristei kniete der Mesner vor dem Ofen und blies in die Glut, damit wenigstens das Weihwasser im Kessel auftaute. Aber mir blieb ja keine Zeit, die Finger zu wärmen, der Pfarrer wartete schon, daß ich in meine Albe schlöffe und ihm mit der Schelle voranginge.
Bitterkalt war es auch in der Kirche. Die Kerzenflammen am Altar standen reglos wie gefroren, und nur wenn sich die Tür öffnete und Wind und Schnee hereinfuhren, zuckten die Lichter erschreckt zusammen. Die Kirchleute drückten das Tor eilig wieder zu, sie rumpelten schwerfällig in die Bänke, und dann klebten sie ihre Adventskerze vor sich auf das Pult und falteten die Hände um das wärmende Licht. Indessen schleppte ich das Meßbuch hin und her und läutete zur passenden Zeit, und wenn ich einmal länger zu knien hatte, schlief ich wohl wieder ein. Dann räusperte der Pfarrer vernehmlich, um mich aufzuwecken. Ihn allein focht kein Ungemach an. "Rorate coeli", betete er laut und inbrünstig, "tauet Himmel, den Gerechten". Und dann war alles wieder herzbewegend schön und feierlich, der dämmrige Glanz im Kirchenschiff, der weiße Atemdampf vor den Mündern der Leute, wenn sie dem Pfarrer antworteten, und er selbst, unbeirrbar in der Würde des guten Hirten.
Nachher standen wir zu dritt hinterm Ofen in der Sakristei. Der Mesner schüttelte die eiserne Pfanne und hob den Deckel ab und speiste uns mit gebratenen Kastanien. Ich hüpfte von einem Fuß auf den andern, und auch der Pfarrer rollte die heißen Kugeln eine Weile im Mund hin und her. Es war vielleicht keine Sünde, wenn ich nebenbei flink vorausrechnete, wie lange es wohl noch dauerte, bis er mir zur Weihnacht meinen Lohn in die Hand drücken würde, einen ganzen Gulden.


Der Weihnachtsabend wäre nicht denkbar gewesen ohne ein feierliches Lied, wenn es auch natürlich nicht immer so gut geraten konnte, wie in der ersten Heiligen Nacht, als die Engel vom Himmel herunter das Gloria sangen.

Später, wenn die Kerzen am Baum längst erloschen waren, um Mitternacht, durfte ich die Mutter zur Mette begleiten. Ich weiß noch gut, wie stolz ich war, als sie mich zum ersten Mal nicht mehr an der Hand führte, sondern neben sich hergehen ließ als ihren Sohn und Beschützer. Und sogar in der Kirche kniete ich nun auf der Männerseite.

Einmal fand ich auf dem Weg zur Mette eine erfrorene Kuckucksblume am verschneiten Bach. Unzählige braune Samenkörner rieselten mir in die Hand, und während ich sie wieder verstreute, dachte ich bei mir, wie tröstlich es doch ist, daß sich Gottvater nicht auch von den Errungenschaften der Technik erschrecken läßt, sondern daß er nach wie vor seine altmodischen Kuckucksblumensamen erzeugt.

Denn wie ist es in Wahrheit, liebe Freunde? Leben wir nicht in einer Weltzeit des Advent? Scheint uns nicht alles von der aufkommenden Finsternis bedroht zu werden, das karge Glück unseres Daseins? Wir warten bang auf den Engel mit der Botschaft des Friedens und vergessen so leicht, daß diese Botschaft nur denen gilt, die guten Willens sind. Es ist kein Trost und keine Hilfe bei der Weisheit der Weisen und der Macht der Mächtigen. Denn der Herr kam nicht zur Welt, damit die Menschen klüger, sondern damit die gütiger würden. Und darum sind es allein die Kräfte des Herzens, die uns vielleicht noch einmal werden retten können.


1 aus Waggerl, Karl Heinrich: Sämtliche Werke
(Otto Müller Verlag) Salzburg, 1972 (2.Aufl.)
S.373ff., zuerst 1956 erschienen

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